Lange Schatten

Heute ein Bleibe- statt Reisebericht, denn, auf einmal gibt es Stillstand und zwar mit viel Bewegung: ein Haus mit Garten und Hund sind uns für einige Zeit anvertraut.

Gerade noch frei wie ein Vogel. Immer unterwegs, wohin es uns gelüstet. Heute hier, morgen weiter. Jede Nacht in einem anderen Bett. Mal mit Frühstück, mal ohne! Lange Zugfahrten, lange Fußwege, Busfahrten durch fremde Städte, Motorradfahrten durch faszinierende Landschaften. Rasten und staunen, wann immer uns der Sinn danach steht. Neue Menschen kennenlernen. Fremde Fauna und Flora bewundern, Gerichte kosten, deren Zutaten völlig außerhalb unseres Erfahrungsschmatzes liegen. – und plötzlich: ein fester Wohnsitz und ein Hund. Wirklich krass, der Gegensatz dieser Lebensstile.

Morgens gegen halb sieben, liegt eine Hundeschnauze auf der Matratze, mehr darf nicht. Zwei reizende, braune Augen suchen den ersten Blickkontakt des Tages. Mit angestrengter Ignoranz gelingt es mir meist die Räkelphase im Bett bis kurz vor Sieben zu verlängern. Unter ungeduldigem Gestubse streife ich das Zeug vom Vortag über und schon schnuppern wir, mit zunehmender Lebensfreude, die frühe Morgenluft am See.

Nur kurz ist diese erste Begegnung mit der Außenwelt. Frühstück heißt das lockende Zauberwort. Erst für den Hund, dann für uns Menschen. Die von mir so sehr geschätzte, druckfrische Zeitung, mit der letzten Tasse Kaffe …, es bleibt der sehnsuchtsvolle Gedanke daran. Auch hier, in dörflicher Umgebung, zwanzig Kilometer von Chiang Mai entfernt, ist an eine aktuelle, englischsprachige* Zeitung zur rechten Zeit eben nur zu denken. Seit wir unterwegs sind, gibt es morgens entweder keine Zeitung in der Nähe zu kaufen und wenn, dann auf keinen Fall eine englischsprachige, und wenn, dann so gut wie nie vom selben Tag.

Aber kein Problem, ich sammle insgeheim all die Dinge, auf die ich mich freuen kann, wenn ich eines Tages wieder in Deutschland bin.

Nach dem Frühstück, wenn alle satt sind und verdauen, bleibt mir Zeit für den ersten (!) Blick in den Spiegel. Nie hätte ich bisher für möglich gehalten, dass es Tage geben wird, an denen ich mich der Außenwelt zeige, ohne zuvor nicht selbst, zumindest einen ersten, prüfenden Blick in den Spiegel geworfen zu haben. Von Wäsche, Pflege, Frisur und dem üblichen Kosmetikkrams einmal ganz abgesehen. Doch schon die letzten zwei Monate, unterwegs auf Sumatra und in Vietnam, zeigten mir, das dies durchaus möglich ist und zwar ganz ohne negative Folgen für das eigene und anscheinend auch für das Wohl der Anderen. Die ersten frühmorgendlichen Begegnungen jedenfalls fallen auch hier allesamt freundlich und entspannt aus.

Einigermaßen vorzeigbar, geht es nach dem Frühstück auf in die zweite Gassirunde. Schwerpunkte sind jetzt, das große Geschäft und kurze Sprintstrecken. Ich hätte nie geglaubt, dass es mich einmal mit Befriedigung erfüllen wird, wenn ein Hund einen ordentlichen Haufen zur rechten Zeit, am rechten Ort absetzt.

Ein angenehmer Begleiteffekt dieser Gassirunden, ich brauche für eine ausreichende körperliche Bewegung die Auseinandersetzung mit meinen inneren Schweinehund nicht mehr. Diese Rolle hat nun ein realer Hund übernommen, der meine Entscheidungsfreiheit einengt und somit alles sehr vereinfacht. Jeder Hundebesitzer wird über meine Ausführungen nur müde lächeln, für mich ist es eine späte und völlig neue Erfahrung. Mein Leben lang war ich umgeben von autonomen Samtpfoten und nun dies. Ein kräftiges, tapsiges Wesen in völliger Abhängigkeit und ich selbst, nie groß in Hierarchien denkend oder lebend, nun in eindeutiger Führungsrolle. Das will verarbeitet werden (in einem Blogartikel zum Beispiel);-)

Wo war ich? Der zweite Rundgang, richtig. Kommt es dabei zu keinen Stressbegegnungen, mit freilaufenden Rüden oder Fahrradfahrern mit Helm und Satteltaschen, habe ich eine herrliche Zeit. Ich kann meine ganze Aufmerksamkeit auf die wunderschöne Umgebung und ihre täglichen, kleinen Veränderungen lenken, dabei lasse ich alle aufkommenden Gedanken kritiklos mit laufen. Ich genieße das.

Diese Begegnungen mit anderen, freilaufenden Rüden, da müssen wir noch dran arbeiten, der Hund und ich. Freilaufende Hunde sind allgegenwärtig in Thailand, erst recht in dörflicher Gegend. Hunde an der Leine Gassi zu führen mutet hier in etwa so exotisch an, wie bei uns eine Bankangestellte im Baströckchen. Schon nach zwei Wochen heißt es: “Schau mal, da ist wieder die Farang**-Lady mit den drei Hunden!” -Drei? Ja, manchmal auch vier, es hat sich so eingebürgert, dass wir auf unseren Rundgängen von einem alten, struppigen, schwarzen Streuner, einer kleinen, alten Wuscheldame namens Keep Muu (heißt: knusprig, frittierte Schweinehaut) und manchmal einer jungen, bildhübschen Beagle-Hündin begleitet werden. Das muss ein lustiger Anblick sein, kein Wunder, dass uns die meisten Menschen lächelnd entgegenkommen.

Durchgeschwitzt und abgekämpft sind wir dann irgendwann wieder vor Ort. Für den Hund ist Dösen angesagt und zwar nach Thaiart: seitlich hingeklatscht, alle Viere von sich gestreckt. Wie oft habe ich hier solche Hunde schon auf Straßen und Wegen herumliegen sehen. Jedesmal geht mein Blick auf den Brustbereich, um zu sehen ob sie noch atmen.

Nun hab ich etwas Zeit für mich und meine Arbeit: Schreiben, Fotos sortieren und Kontaktpflege. Dies ist manchmal etwas beschwerlich wegen der ungeheuerlichen Hitze, die sich ab 10 Uhr schon breit macht und alles sediert. Gegen zwölf Uhr Hunger, trotz Hitze und Trägheit. Es geht zur Nudelsuppenfrau, nicht weit entfernt, natürlich***. Eine wundervoll brennend, scharfe Nudelsuppe. Für mich nur mit Gemüse und mit den breiten Reisnudeln, bitte: Kwaiteo senyai saipak. So hat es eine thailändische Bekannte, in Lautschrift, für mich aufgeschrieben. Danach ein eiskaltes Bier aus eisgekühlten Gläsern im Gartenpavillon, ein Eiswürfel für den Hund.

Es folgt ausgedehntes Nichtstun bei Mensch und Tier. Dösen bis mindestens drei, vier Uhr. Ungeheuerlich für meine deutsch tickende Uhr. Die ersten zwei Wochen haben wir versucht, dagegen anzugehen. Nun fügen wir uns und so ist es eindeutig besser. Inzwischen sind es locker 35 Grad im Schatten und nur im Schatten ist es überhaupt auszuhalten. Welch ein Unterschied zum Winter in Nordthailand, denn der verläuft in etwa so angenehm wie unser deutscher Sommer, nur mit Sonnengarantie.

Spätnachmittags kommt langsam wieder Bewegung ins Leben. Ich sitze auf der Terrasse unter einem großen Ventilator und schreibe, später schmieden wir Pläne für den Abend, allein, mit Nachbarn oder Freunden. Kaffee gurgelt geräuschvoll in die Kanne. Wir genießen kalte, gelbe, saftige, süße Mangos, Papayas, Ananas oder Wassermelone mit etwas Gebäck.

Ein ausgedehnter Spaziergang folgt, große und kleine Geschäfte, erneute Sprints und etwas Hundestress, eben das volle Gassi-Programm. Alles um den See herum scheint noch wie betäubt von der Hitze und kommt nur langsam in Fahrt. Die blühenden Frangipanibäume duften um die Wette. Ich schnuppere an den Blüten, der Hund am Stamm, ganz unten. Bougainvillia blüht in allen Farben, die Mangos hängen schon schwer, aber noch grün an den Bäumen. Schreiend plantschen Kinder im See herum. Sie haben jetzt große Ferien, von Mitte März bis Mitte Mai. Auf den Straßen kommt der moderate Verkehr langsam wieder ins rollen. Alle Farben strahlen so intensiv als hätte sie jemand mit bunten Textmarkern in die Landschaft gesetzt. Die großen Ameisen werfen lange Schatten im letzten Sonnenlicht. Wie kleine Ungeheuer huschen sie über das sandige Seeufer. Die Sonne hat nicht mehr viel Zeit, bevor sie sich um halb sieben, als große, orangene Scheibe hinter den Bergen nordwestlich von Chiang Mai verabschiedet.

*deutschsprachige Zeitungen sind, global unterwegs, eine Seltenheit und wenn, dann meistens alt und teuer. Kein Problem natürlich in den besten Hotels der Weltmetropolen.

**thailändischer Ausdruck für Ausländer mit weißer Hautfarbe

***ja, ja, die Thais und ihr Essen, siehe hierzu auch meinen Artikel “Thailand, Land des Essens”

zu Ostern: Th-EI-land

Auch dieses Jahr gibt es zu Ostern einen Eierartikel, was sonst? Das fällt mir nicht schwer, denn zur Zeit sind wir in einem richtigen Eierland, in Thailand! Ja, im Ernst, niemand würde zuerst an Eier denken, wenn es um thailändisches Essen geht, oder? Ich bis letztes Jahr auch nicht. Ich dachte da eher an Reis, Zitronengras und Chili, vielleicht noch an die Satespieße, aber nicht unbedingt an Eier. Dabei sind Eier hier überall gegenwärtig:
sie werden zwischendurch, hauptsächlich vom männlichen Geschlecht, roh ausgeschlürft; sie sind eine unverzichtbare Zutat für hiesige Gesundheits- und Kraftelexiere; werden ins morgendliche Reisporridge eingerührt; fast jedes Reisgericht ziert ein beidseitig gebackenes Ei; hartgekochte Eier werden frittiert und in Salate gemischt; in den Supermärkten, auf den Märkten und in den Straßenläden, überall sieht man stapelweise Eier-Lagen. Auch Wachtel- , Enten- und andere Vogeleier sind im Standardsortiment.
Und dann gibt es noch – die Eier in Rosa. Nicht in Massen, aber doch so häufig, dass man bald neugierig wird. Steckt eine bestimmte Hühnerrasse dahinter? Schließlich kennen wir bei uns die lindgrünen Eier von den Grünlegern. Gibt es also thailändische Rosaleger? Oder sind sie angemalt? Vielleicht ein geheimnisvoller Kult ums Ei, wie bei uns zu Ostern? Da hilft nur eins, kaufen, ausprobieren und Leute befragen.
Inzwischen bin ich soweit im Bilde, dass ich Euch einige Infos geben kann. Vorweg, nein, ich habe sie so direkt nicht gegessen. Wie heißt es so schön? Das Auge isst mit? Mein Auge wollte nicht mitessen. Auf dem Foto kann man es sehen, das Eiweiß ist dunkelbraun und gallertartig, das Gelbchen schwarzgrün und es umweht sie ein Hauch von Schwefelduft. Wohl eher eine Festspeise zu Helloween oder dem Hexensabbat als zu Ostern. Man darf sich da von der schönen rosa Coloration nicht verleiten lassen. Diese Eier sind tatsächlich so eingefärbt und zwar nur, damit sie nicht mit den normalen Eier vertauscht werden. Na, die Überraschung am Frühstückstisch möchte ich mal jemanden bereiten. 😉
Nun zu den Fakten. Diese Eier werden auch tausendjährige oder hundertjährige Eier genannt, ebenso Pferdepisseeier oder Ledereier. Die Namen sind allesamt recht passend. Nein, in Pferdeurin werden sie nicht eingelegt, nur der Geruch erinnert ein wenig an Ammoniak. Lederartig ist die Konsistenz und eingelegt werden die Eier, statt mehrerer Dekaden, immerhin gute drei Monate lang. Die Zutaten der Lake variieren leicht, meist ist es eine Mischung aus Kohle, Lehm, Salz, Zitronensaft, Teeblättern und Reisspelzen. Mit der Zeit fängt dann diese Mischung an zu gären und beginnt eifrig auf die Eier einzuwirken.
Verständlich, dass einem Mitteleuropäer, bei der Beschreibung, bei diesem Duft und Anblick, nicht gerade das Wasser im Munde zusammen läuft.
Noch während ich mich kundig machte, die Eier aufschnitt und fotografierte, fiel mir ein, dass ich sie tatsächlich schon einmal auf einem Night Bazar in Mae Hong Son gegessen habe. Mit Appetit. Unwissend. Es waren mit Tempurateig ummantelte, frittierte, aufgespiesste “Pferdepisseeierstücke” mit Thaibasilikum und Chilisoße.
Ich wünsche Euch bunte und fröhliche Ostertage mit viel Genuss und Frühlingssonne!