rot auf weiß = Liebesbeweis


Er, sie kommt vielleicht zum ersten Mal zu Besuch? Zum Essen? Ja- ok, Du kannst losrennen und mit der EC-Karte planlos die nächste Feinkostabteilung leerkaufen, kannst einen Koch mieten oder doch lieber zum Essen auswärts einladen. Du kannst hektisch die letzten Jahrgänge der Essen&Trinken Ausgaben durchforsten, um dann aus dem ersten, dicken Kochbuch Dein Standard-Besucher-klappt-immer-Menü zu kochen. Du kannst hier ein paar Austern und dort etwas Champagner kaufen; die besten Rinderfilets und den edelsten Thunfisch der Stadt ausfindig machen; mit Tapir-Fleisch auf Mangospiegel experimentieren, mit Rezepten aus der Molekularküche Spinat als grüne Wolke über den Teller schweben lassen oder gar eigenhändig ein Kaninchen erlegen. Bestimmt fallen Dir da noch mehr Möglichkeiten ein, einer möglichen Katastrophe entgegenzusteuern. Vielleicht denkst Du auch einfach mal über meinen Vorschlag nach:
Koche eine Tomatensoße, dazu Spaghetti, vorweg einen feinen Blattsalat und beim Nachtisch orientiere Dich an Früchte der Saison.

Ich verspreche es, damit kriegst Du alle! Vorausgesetzt es gelingt Dir, Dich ganz der Zubereitung dieser Tomatensoße hinzugeben. Ehrlich und aufrichtig, Heuchelei ist hier fehl am Platze und wird nicht belohnt! Wer etwas versierter in der Küche hantiert, der macht auch die Pasta selbst, allen anderen empfehle ich gute, italienische Spaghetti aus 100% Hartweizen zu kaufen.


Die Vorteile:

Nr.1 kein Stress: im Gegenteil, Du kannst Dich schon bei der Zubereitung meditativ auf Deinen speziellen Gast einstellen.

Nr.2 Hauch von Luxus: statt aus monetären Gründen nur zweitklassigen Champagner, Sommertrüffel und Aquarium-Austern zu servieren, kannst Du, ohne Dich finanziell zu ruinieren, die besten Tomaten, das reinste Olivenöl und eine richtig guten Rotwein dazu kaufen.

Nr.3 Nähe: mit diesem Gericht zauberst Du augenblicklich eine heimelige, intime Atmosphäre. Es gibt wohl kaum ein Gericht, dass so uns nah und vertraut ist, weil es uns schon seit unserer Kindheit in allen Lebenslagen begleitet.

Nr.4 Charakter:
ganz nebenbei trennst Du so die Spreu vom Weizen, die oberflächlichen Blender von den feinfühligen Seelen. Leichte Verstimmung, weil es NUR Spaghetti mit Tomatensoße gibt? Du weißt was Du zu tun hast.

Nr.5 Multitasking: da dies im wahrsten Wortsinne eh kaum jemand beherrscht (selbst Frau nur annähernd), hierbei die Möglichkeit, sich auf alles voll und ganz nacheinander zu konzentrieren: auf die Soße, die Vorfreude, das eigene Outfit, die Tischdeko, den Gast.

Nr.6 Stimmung: da Du bei diesem Vorhaben eher nicht Gefahr läufst, dass Du Zutaten nicht bekommst oder dass Du Dich im zeitlichen nach- und miteinander der einzelnen Zubereitungen verhedderst, ist die Stimmung nach wie vor ungetrübt.

Nr.7 Risiken: -keine!  Ja, so machst Du es Dir leicht, na und? Schon mal was von Vegetariern gehört? Oder von Fleischessern, die aber nichts essen, was so aussieht als käme es vom Tier? Von Kreuzallergien? Laktoseunverträglichkeit? Abneigungen gegen Spinat und Hülsenfrüchte? Gegen Rote Bete und allem was sonst noch auf dem Teller blutet? Muss ich weiter reden?

Nr.8 Individualität:
auch wenn ich nachfolgend mein Rezept vorstelle, das ist mein Rezept, für die einzig wahre Tomatensoße, so heißt das noch lange nicht, dass Du die Soße zubereitest, gerade wie es (zu) Dir passt. Ich bin sicher, dabei wird eine weitere, einzig wahre Tomatensoße entstehen.

Hier das Rezept:

Noch einmal: nicht an der Qualität der Zutaten sparen, ok?

Für die Nudeln: Spaghetti 100% Hartweizen vorher schon mal recht al dente kochen, wenn es keine Selbstgemachten sind und etwas Nudelwasser beim Abgießen zurückbehalten für die Soße. Die Nudeln müssen dann, wenn es losgeht nur noch eine Minute in kochendes Wasser, auf jeden Fall müssen sie zum Schluss noch al dente sein! Unbedingt vorher testen! Zur Not eine Reservepackung bereit halten, denn weich gekochte Nudeln können alles verderben.
Für die Soße:
extra natives Olivenöl
2 Knoblauchzehen (frischer Knoblauch wäre gut!)
1 mittelgroße Zwiebel oder 2 Schalotten
viele aromatische Tomaten (oder falls keine Tomatenzeit, gute Dosenqualität)
etwas getrocknetes Oregano (beste Qualität) oder
etwas mehr frischen Oregano und Basilikum, feingehackt
Meersalz
etwas Rohrohrzucker
Tomatenmark

Für den Salat:

Blattsalat, gern mal etwas Außergewöhnliches, z.B. eine Mischung aus Wildsalaten,
weißer Balsamico, Olivenöl und Pecorino- oder Parmesankäse gehobelt, schwarzer Pfeffer aus der Mühle, Meersalz


Fürs Dessert: Eis geht immer, selbstgemacht, vom Italiener geholt oder gute Qualität aus der Tiefkühltruhe, dazu frische Früchte je nach Jahreszeit. Auch ein Espresso mit Amarettini reicht da völlig aus. Nur nicht den schlichten Charme des Menüs durch ein furchtbar, kompliziertes Dessert zunichte machen.

Schon geht es munter und mit voller Konzentration ans Werk:

Die Zwiebeln, Knoblauchzehen schälen und in kleine, schöne Würfelchen schneiden. Die Würfelchen vom Knoblauch sollten dabei um ein Vielfaches kleiner ausfallen. Die Zehen aber auf keinen Fall quetschen, pressen oder reiben. Erhitze etwas Olivenöl im Lieblingstopf und gib die erlauchten Würfel dort hinein. – Wichtig: keine Röststoffe! Das heißt, immer schön bei Topf bleiben und beobachten. Die Nase drüber, umrühren, lächeln und so fort, bis alles glasig süß gedünstet ist. Nun kommt Tomatenmark ins Spiel. Hinein damit und gleich 1 TL Rohrohrzucker hinterher. Alles sorgfältig verrühren und immer darauf achten, dass es nicht zu heiß wird. Jetzt vom aromatischen Oregano dazu und dann mit dem Schneebesen das Nudelwasser langsam einrühren. Richtig sämig ist sie jetzt schon, die Tomatensoße. Sie brauchen auch kein Mehl, da die Stärke im Nudelwasser völlig ausreicht. Nun geht es zunächst den Tomaten an die Pelle und dann an die Kerne, soviel Zeit muss sein. Die Tomatengeschichte kannst Du handhaben wie Du magst und wie es die Jahreszeit vorschreibt: entweder  jede Menge frische, aromatische Tomaten, eine gute Dosenqualität oder halb und halb. Gib noch Meersalz dazu und die Temperatur so einstellen, dass nichts anbrennt, aber das Sößchen gleichmäßig leicht vor sich hin blubbert. Bei geöffnetem Topf, damit es etwas reduzieren kann.
Eine halbe Stunde oder auch Stunde, gerade solange, wie Du für Dich oder oder die Tisch-Deko benötigen. Aber immer mal ein Auge draufwerfen.

Apropos Tischdeko, alles nach Belieben, da will ich nicht reinreden, aber großen, weißen Stoffservierten wären fein, soviel Luxus muss sein. Denn Blusen und Hemden mit Sommersprossen mag nicht jeder und hektische Flecken-Entfern-Versuche bei Tisch, tragen nicht unbedingt zu einer harmonischen Stimmung bei. Obwohl …