“ceno, ergo sum” so mag ein thailändischer Philosoph und Beobachter in die lateinischen Schulbücher schreiben (“Ich esse, also bin ich!”). Sie essen. Immer, so scheint es. Leidenschaftlich, überall, nicht viel, aber ständig. Kaum jemand würde sich hier weiter als zweihundert Meter von der nächsten Suppenküche oder einer anderen Essensquelle entfernen, ohne einen anständigen Vorrat verschiedener Speisen mit sich zu führen.
Wo gibt’s denn hier was zu essen?
Küchenwagen und Suppenküchen säumen die meisten Straßen in den Städten und Dörfern. Dort gibt es Curries, Nudelsuppen, Satespieße frisch vom Grill (oder auch Satyspieße, das sind Hähnchen-oder Schweinefleischspieße, mariniert mit einer würzigen Kurkumasoße) , Eis, Kaffee, Desserts, getrocknete Knabbereien oder frisches Obst, verzehrfertig aufgeschnitten.
Diejenigen, die nicht mit dem Verkauf oder Verzehr von Speisen direkt beschäftigt sind, kaufen sich gerade etwas Essbares oder tragen das soeben Gekaufte in Plastikbeuteln und Schachteln verpackt bei sich.
Die Möglichkeit, jederzeit etwas essen zu können, scheint hier genauso wichtig, wie die ständige Verfügbarkeit von Atemluft. Ich übertreibe nicht!
Feste werden meistens mit einem Überangebot an vielen verschiedenen Gerichten gefeiert.
Letztens, in Cha Am, sind wir auf dem Dorfplatz zufällig und unwissend in eine Feier zum Todestag eines uns (natürlich) unbekannten Herren, hineingeraten. Es ähnelte einem Volksfest! Die Tochter des vor Jahren Verstorbenen kam sofort durch das gut gelaunte Gewühle auf uns zu und lud uns herzlich und nachdrücklich ein, von allem zu essen bis wir satt seien. Voller Neugier ließen wir uns an den Ständen in Bananenblättern verpackte Überraschungspakete in die Hand drücken. Mal waren sie mit scharfer Fischpastete gefüllt, mal mit sticky (klebrigem) Kokosreis. Bunte, süße in Öl gebackene Kringel, gebratener Reis mit Meeresfrüchten, unreife Mangos mit Chilipulver, frischgebackenes Krupuk, aufgespießte Fischbällchen süßsauer und so fort, eine wirklich sympathische Art der Toten zu gedenken.
In allen Städten gibt es zusätzlich zum Standardangebot Nachtmärkte, Foodmarkets oder auch sogenannte Walking Streets, wo täglich oder wöchentlich unzählige Verkaufsstände aufgebaut werden. In der Hauptrolle, die Essensstände.
man isst sich so durch den Tag
Es gibt keine besonderen Essenszeiten. Allenfalls Küchen, die morgens aufmachen und gegen Nachmittag verschwinden. Dafür tauchen gegen Abend wieder völlig neue mobile Küchen auf der Straße auf. Obwohl alles auf dem ersten Blick chaotisch und wuselig wirkt, ist es immer wohlorganisiert: Wer, wann, wo und vor allem womit erscheint. Sitzhocker, Tische, Papierservierten, die unverzichtbaren Ständer mit den vier Basiswürzen: Fischsoße, Zucker, Chilis und Essig, der Grill mit Kohle, alles wird auf einem seitlichen oder hinteren Mopedanhäger Platz finden und jeden Tag auf- und abgebaut. Wahnsinn! Die Eiskiste für die Getränke, die Getränken selbst, Wasser, sämtliche Zutaten, die Kochstelle, eine Gasflasche, einfach alles muss mit. Kind und Hund werden noch seelenruhig zwischen die Beine geklemmt und zügig schlängelt man sich so durch den tosenden Verkehr.
Morgens bevorzugt man oft eine einfache Reissuppe um den Magen langsam aufzubauen. Zeitgleich werden überall kleine Holzkohlengrills entfacht, denn der Hunger nimmt schnell Fahrt auf. Einmal für die erwähnten Satespieße und entsprechend größere Grills für Hähnchen oder für ganze Schweine. Das “küchenfertige Tier” wird dazu aufgeschnitten und auseinander geklappt, etwas plattgemacht und aufgespießt. Dann wird es mit viel Ausdauer mal schnell, mal langsamer über der Glut gedreht bis es recht dunkel ist. Insgesamt ist das nicht so meine Abteilung.
Spätestens ab zehn hört man vermehrt emsiges Wokrühren, Gemüsehacken oder das Zischen von Frittiergut in heißem Fett, meistens Palmöl. Hier hinein landen dann so eine Art Schmalzgebäck, Frühlingsrollen, Bananen in Kokosteig, Garnelen in Tempurateig, leckere Fischküchlein und so fort. Erstaunlicherweise schmeckt es meistens richtig gut und gar nicht so fettig wie erwartet. Man hat auf der Straße einen freien Blick in den Wok und sieht erfreulich oft frisches, hellgoldenes Palmöl. Da es fast allesamt Könner am Wok sind, hat das Öl, durch die direkte Hitzezufuhr einer Gasflamme, immer genau die richtige Temperatur. Somit keine Chance für die Frühlingsrolle, sich mit Fett voll zu saugen. Erfreulich! Und zu meiner Freude gibt es auch hier im Norden Thailands noch oft, die von mir in Malaysia kennengelernten Roti Canais mit Banane. Ein sehr flüchtiger Beobachter würde dazu “Viereckiger Bananenpfannekuchen” sagen. Mit Entsetzen sehe ich, wie diese knusprige Köstlichkeit hier von den meisten mit viel Zucker, einer gehörigen Menge an Dosenmilch und einer dicken Spur Schokosoße “veredelt” wird. Es gibt eben auch Stände und Küchen deren Besitzer Dinge anbieten – und ich denke da an wirklich ungewöhnliche Speisen – dagegen sind die Roti Canais mit Dosenmilch noch voll im Rahmen des kulinarisch Vorstellbaren für uns Europäer.
So wandere ich durch die Straßen und es riecht immer nach Essen. Auch im Zeitungsladen, in der Hotellobby, im Bus oder beim Optiker, irgendwo wird immer ein Essen aus Unmengen von Plastiktüten hervorgezaubert und verbreitet den Essengeruch in Windeseile.
Wem das Angebot an den Straßen nicht reicht, der hält einfach eine mobile “Futterstation” auf der Straße an. Das kann jemand sein, der seine Köstlichkeiten in zwei Körben an einer geschulterten Stange mit sich herumträgt oder auch jemand, der per Rad oder Moped herumfährt und sich mit einer Lufthupe ankündigt.
Meine Favoriten sind hier der Obstwagen mit perfekt geschälter Ananas am Spieß oder einer frischen Trinkkokosnuss. Ach ja, und der Salatwagen, zu erkennen am großen Holzmörser.
Spicy Salad – scharfer Salat
Für meinen Lieblingssalat, den spicy Mango- oder Papayasalat, geht es nach Bestellung am Wagen wie folgt los: junge, ungeschälte Knoblauchzehen, Zucker (hier Palmsirup), einige Spritzer Fischsauce und Limonensaft, sowie, je nach Schmerzfähigkeit 1-5 kleine, frische Chilischoten und getrocknete Shrimps verschwinden in den großen Holzmörser und werden mit wenigen Stössen angequetscht und vermengt. Als Salat folgen dann einige rohe, grob zerteilte Longbeans ( grüne, lange Bohnen, die man roh essen kann), Tomatenviertel und in Streifen geraspelte unreife Papaya oder Mango. Geröstete Cashewkerne oder Erdnüsse und frischer Koriander krönen diese Geschmacksexplosion. Am besten schmeckt der Salat, wenn alle Geschmacksrichtungen, plus Schärfe, sämtliche Papillen auf der Zunge bis aufs äußerste reizen. Für Deutschland, wo diese Papayas und Mangos kaum zu bekommen sind, würde ich es mit Zucchini probieren. Die rohen Bohnen dann entweder ganz weglassen oder durch junge, gegarte Sojabohnen (Edamame) ersetzen. Schmeckt auch wunderbar als Gurkensalat, hierzu die Gurke ohne Kerne, fein raspeln.
Ab in die Tüte!
Begibt sich der Thailänder aber nun, wider erwarten und -willen, in ein Gebiet außerhalb eines Versorgungsgebietes, so führt er vorsorglich eine Sammlung verschiedener Speisen mit sich. Meistens in unzähligen Plastiktüten und Tütchen verpackt. Das ist eine Kunst für sich. Knallheiße Nudelsuppe wird mit Trichter in durchsichtige Plastikbeutel gefüllt, dann an den Enden zusammengefasst, so dass sich über dem Inhalt alles mit Luft füllt. Verschlossen wird dieses pralle Beutelchen dann mit dünnen Gummiringen, die mindestens neununddreißig mal, blitzeschnell um den Endzipfel geschlungen werden. Derart verpackt wandern dann Nudelsuppen, Reisgerichte, Salate, Frittiertes und in Miniformat die jeweils passenden Würzsaucen dazu, in größere Plastiktüten.
Natürlich haben wir das auch einmal ausprobiert. Ich bin los und habe an verschiedenen Ständen Essbares zum Mitnehmen zusammengekauft.
Mal ganz abgesehen von der Müllansammlung, ist auch die Handhabung eine Zumutung. Allein schon, diese Beutel von den Gummiringen zu befreien, ohne dass sich der heiße Inhalt über Finger, Tisch und Schoß ergießt. Für uns war es eine einzige Matscherei und zum Schluss sah der Tisch aus, als wären streunende Hunde und Katzen über eine Mülltonne hergefallen. Ich kann nicht einmal genau sagen, wie und ob uns das Essen überhaupt geschmeckt hat. Die Handhabung hat die Kulinarik eindeutig überlagert. Wir werden jedenfalls nicht versuchen diese Fertigkeit weiter zu vertiefen. Wir essen zukünftig wieder direkt vor Ort, wo auch immer das ist.
Verdammt, jetzt hab ich richtig Hunger gekriegt! – und ab …